KLAUS VOM BRUCH
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AUCH MIR IMMER NOCH EIN RÄTSEL
Zur Ausstellung Klaus vom Bruch „Auch mir immer noch ein Rätsel“
„Sometimes an Aspargus Is Just an Aspargus“ und manchmal ist ein „perfekt positioniertes Kaffeeböhnchen“ der Ursprung der Welt, nicht wahr?
Weshalb findet sich die Darstellung des Kaffeeböhnchens auf Klaus vom Bruchs Arbeit aus dem Jahr 2022 in so perfekter Positionierung?
Sehen wir genauer hin. In blassen Strukturen erkennen wir auf der vermeintlich frei gelassenen Bildfläche auf der Arbeit von vom Bruch das Gemälde von Gustave Courbet „L'Origine du monde“ wieder. Auch wenn der Blick zunächst ein wenig suchen und der Verstand etwas graben muss, um diese subtilen Bildstrukturen zu sehen und auch zu identifizieren, so entfaltet die Referenz zu Courbets damals so skandalträchtigem Bild des weiblichen Geschlechts ihre Kraft dann abrupt und unabkömmlich. Von nun an sieht man es, also denken wir darüber nach.
Courbets Naturalismus beim „Ursprung der Welt“ wirkt in zweierlei Hinsicht: Als malerische Darstellung und auch als kühne Behauptung, der Ursprung der Welt liege im gebärfähigen weiblichen Geschlecht, der Vagina. Die Aussage ist radikal, sie entkleidet sowohl Frau als auch Schöpfung vom Divinen – ähnlich wie bei Albrecht Dürers Selbstportrait.
Bei vom Bruchs Arbeit, eine Kaffeebohne auf die perfekte Position von Courbets Vagina zu setzen, erscheint es naheliegend, dass vom Bruch Ironie zum Ausdruck bringt oder eine Art Verharmlosung der inszenierten weiblichen Urgewalt – wollte Courbet vielleicht nur ein weibliches Geschlecht malen? Vielleicht drückt die Analogie der Kaffeebohne, die Verniedlichung zum Böhnchen auch aus, dass die Bilder von Geschlechtlichkeit heutzutage gewöhnlich geworden sind und in gewisser Weise reizlos, reduziert auf ein alltägliches und fuckable Objekt. Indes verweist das Böhnchen ja nicht nur auf die Vagina, sondern auch den Titel „Ursprung der Welt“ – somit gesehen gelangen wir mit einer Adaption der naturalistischen und vielleicht auch reduktionistischen Sichtweise noch nicht an den Kern.
Fassen wir einmal zusammen: Die Arten von Bildlichkeit, die vom Bruch bislang auffächert, sind: Das grafische Bild einer Kaffeebohne, dann eine bildliche Referenz auf Courbets Gemälde, das uns in voller Pracht erst als Erinnerungsbild erscheint und schließlich haben wir es natürlich bei einem Referenzbild auch mit einem reellen Objekt zu tun, das die Frage nach Provenienz und Eigentümerschaft aufwirft. Und ausgerechnet hing Courbets Werk in Jacques Lacans Arbeitszimmer.
Lacan ist Psychoanalytiker und Konstruktivist. Er stellt nicht die Frage nach der Existenz einer übergeordneten Wahrheit, denn Wahrheit manifestiert sich ihm zufolge erst im Sprechen, zuvor ist sie bedeutungslos, weil irrelevant. So ist auch seine Aussage über die Liebe zu verstehen: „Zu lieben ist, zu geben, was Du nicht hast, an jemanden der nicht existiert“
(Jacques Lacan)
Vom Bruchs Pistache zum „Ursprung der Welt“ im Kontext mit Lacan hat nun eine ganz neue und tieferliegende Bedeutung. Sowie auf vom Bruchs Arbeit das Bild Courbets verblasst ist, so verblassen bei Lacan die Liebe und die Leidenschaft zu ihrer eigenen Projektion.
Was einst die Gewalt der Vagina und auch die körperliche Liebe, der Geschlechtsakt, der den „Ursprung der Welt“ beschreibt, ausmacht, wird durch den Kontext mit Lacan gebrochen auf ein Projektionsbild, auf eine nicht mehr allumfassende Urgewalt. Sie wird zum Symbol einer Begierde, die allein beim Begehrenden zu verorten ist. Das Kaffeeböhnchen ist nicht als Analogie zu Courbets Darstellung zu lesen, sondern erst im Blick durch die psychoanalytische Brille Lacans zu verstehen und verweist zurück auf zurück auf „den Ursprung der Welt“ in uns selbst.
Wir halten hier im Text inne – und verweisen auf die weiteren Arbeiten in der Ausstellung, denn im Untergeschoss gibt’s dann noch einige Überraschungen, die auch immer noch ein Rätsel bleiben.
Egal, denn: „Wissen dient nicht dem Verstehen, sondern dem Zerschneiden“
(Michel Foucault)
Hermine Wehr
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For Klaus vom Bruch’s exhibition “Auch mir immer noch ein Rätsel”
(Even to me still a mystery)
“Sometimes an Asparagus Is Just an Asparagus” and sometimes a “perfectly positioned coffee bean” is the origin of the world, right?
Why is the coffee bean in Klaus vom Bruch’s work from 2022 so perfectly positioned?
Let’s take a closer look. In vom Bruch’s work, we faintly recognize Gustave Courbet's painting “L'Origine du monde” on the supposedly empty pictorial plane. The gaze has to search a little first while the mind has to do some digging to understand and identify these subtle pictorial structures as reference to Courbet's then scandalous image of the female sex for it to unfold its force abruptly and indispensably. Now that you can see it, let’s think about it.
Courbet’s naturalism in “The Origin of the World” works in two ways: as a painterly representation and also as a bold assertion that the origin of the world lies in the childbearing female sex, the vagina. This statement is radical, it strips both women as well as the creation of the divine – similar to Albrecht Dürer’s self-portrait.
By perfectly positioning a coffee bean on Courbet's vagina, it seems natural that vom Bruch expresses irony or a kind of minimization of the staged female primordial force – wanted Courbet maybe just paint the female sex? Perhaps the analogy of the coffee bean, its minimization to a tiny bean, expresses that today images of sexuality have become common and in a certain way also unattractive, reduced to an everyday fuckable object. However, the tiny bean not only points to the vagina but also the title “Origin of the World” – thus, with an adaptation of the naturalistic and perhaps also reductionist point of view we are not yet able to reach the core.
Let’s summarize: the types of imagery vom Bruch has fanned out so far are the graphic image of a coffee bean, a pictorial reference to Courbet's painting, which only appears to us as a memory picture in all its splendor, and finally, of course, because of the usage of a reference image we also have to deal with a real object, which raises the question of provenance and ownership. And of all people, Courbet's work hung in Jacques Lacan’s study.
Lacan is a psychoanalyst and constructivist. He does not ask questions about the existence of a superior truth, for truth is manifested only through speech according to him. It is meaningless because of its irrelevance prior to speech. This is also how his statement about love is to be understood: “To love is to give what you do not have to someone who does not exist”.
(Jacques Lacan)
Vom Bruch’s pistache to the “Origin of the World” in the context of Lacan has now been endowed with a new and deeper meaning. Just like Courbet’s image has faded in vom Bruch’s work, so fade love and passion and become their own projection in Lacan.
What was once the violence of the vagina but also physical love, and the sexual act that describes the “Origin of the World”, seen through a Lacanian perspective, now becomes a projection image that is no longer an all-encompassing primordial force. It becomes a symbol of desire that can be found only in the desiring person. The tiny coffee bean is not to be read as an analogy to Courbet's image, but to be understood through Lacan’s psychoanalytical perspective, which refers back to the “Origin of the World” in ourselves.
At this point the text comes to a halt– and refers to the other works shown in the exhibition because there are a few more surprises in the basement that still remain a mystery.
It doesn’t matter, because: Knowledge is not made for understanding; it is made for cutting.”
(Michel Foucault)
Hermine Wehr
Klaus vom Bruch ( → Artist Website)
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Biography
Philosophie an der Universität Köln
Arbeitsstipendium des Kunstfonds Studienstiftung des Deutschen Volkes
1. Deutscher Videokunstpreis Marl Silbermedaille
Videofestival Locarno/ Ascona Kritikerpreis
Videofestival Montbeliard Chargesheimerpreis der Stadt Köln
Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart, Berlin
Kunstmuseum Bonn, Bonn
Museum für Neue Kunst & Medienmuseum (ZKM), Karlsruhe
Kunsthalle zu Kiel der Christian-Albrechts-Universität, Kiel
Kolumba, Köln
Museum Ludwig, Köln
Kunsthalle, Bremen
Galerie für Zeitgenössische Kunst – GfZK, Leipzig
Folkwang Museum, Essen
Lenbachhaus, München
San Francisco Museum of Modern Art
Museum of Modern Art, New York
Long Beach Museum of Modern Art
Vancouver Art Gallery, Vancouver, British Columbia
Netherlands Media Art Institute – Montevideo/Time Based Arts, Amsterdam
Stedelijk Museum, Amsterdam
Künstlerhaus Bregenz
Solo Exhibitions
"Propaganda – eine Wiederholung" / Kunstpavillon Alter Botanischer Garten, München
Institute of Contemporary Arts, London
Galerie Eigen & Art, Leipzig
Group Exhibitions
"Generation Loss" / Julia Stoschek Collection, Düsseldorf / 10 Years Julia Stoschek Collection, kuratiert von Ed Atkins
"Dr. π und die Suche nach der Quadratur des Kreises" / Bernhard Knaus Fine Art, Frankfurt am Main
"ganz konkret" / Haus Konstruktiv, Zürich
CITYSCALE 2010 Istanbul / curated by Beral Madra, Deniz, Erbas, Dr. Conny Oßwald-Hoffmann und Françoise Heitsch, Austauschprojekt von Künstlern aus Istanbul und München, Lothringer 13, Städtische Kunsthalle München, München
"Das im Entschwinden Erfasste" / Videokunst im Museum Folkwang Museum Folkwang, Essen
"Inside Installations" / Presentation Collection S.M.A.K., SMAK Gent
"Bilder in Bewegung: Künstler & Video" / Film Museum Ludwig Köln
"Changing Channels" / MUMOK Wien
"RECORD > AGAIN! - 40jahrevideokunst.de" / Teil 2 Edith-Ruß-Haus für Medienkunst, Oldenburg
"RECORD > AGAIN! - 40jahrevideokunst.de" / Teil 2 Kunsthaus Dresden
"RECORD > AGAIN! - 40jahrevideokunst.de" / Teil 2 ZKM, Karlsruhe
"Art of Two Germanys/Cold War Cultures" / Los Angeles County Museum of Art, Los Angeles
"VIDEO PERFORMANCE: Models of Self-Reflection" / Ausstellungshalle zeitgenössische Kunst Münster
"Interstitial Zones: Historical Facts, Archaeologies of the Present and Dialectics of Seeing argos" / Brüssel
"40jahrevideokunst.de" / MAMCS Strasbourg
"RÜCKBLENDE" / Neue Galerie, Graz
"True Romance" / Kunsthalle Wien
EMAF 2007 / European Media Art Festival Osnabrück
European Media Art Festival - FINAL CUT – Medienkunst und Kino / Kunsthalle Dominikanerkirche, Osnabrück
"AMERICAN VIDEO-ART" / LAZNIA - Centre for Contemporary Art, Danzig
"Photo-Trafic" / Centre pour l´image contemporaine Saint-Gervais Genève, Genf CINEFUTURO, Arte Scienza, Rom VIDEONALE Bonn
"Presentations and video-selections" / Dorottya Gallery, Budapest
" It is hard to touch the real" / Grazer Kunstverein, Graz
"40jahrevideokunst.de - Teil 1" / K21 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen - im Ständehaus, Düsseldorf
"40jahrevideokunst.de, Teil 1" / Revision.zkm, ZKM, Museum für Neue Kunst & Medienmuseum, Karlsruhe
"Screening War - Zur Repräsentation von Krieg in der Videokunst" / ZKM, Museum für Neue Kunst & Medienmuseum, Karlsruhe
VIDEONALE 10 - Festival zur zeitgenössischen Videokunst / Kunstmuseum Bonn
"Zur Vorstellung des Terrors: Die RAF-Ausstellung" / Kunst-Werke Berlin e.V. KW Institute for Contemporary Art, Berlin
"VIDEO - Bildsprache des 21. Jahrhunderts" / NRW-Forum Kultur und Wirtschaft, Düsseldorf
"Gelijk het leven isS.M.A.K." / Stedelijk Museum voor Actuele Kunst, Gent
"Televisions - Kunst sieht fern" / Kunsthalle Wien (Halle 1, Halle 2 im MQ), Wien
"Klaus vom Bruch/Laura Cottingham & Leslie Singer - It´s a Man´s World" / Galerie Nächst St. Stephan - Rosemarie Schwarzwälder, Wien
"Seeing Time" / The Cramlich Collection, San Francisco Museum of Modern Art
"Kunst des 20. Jahrhunderts" / Nationalgalerie, Berlin